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11.3.09

Erhebliche Mängel in Helmut Zanders Anthroposophie-Werk

Neue Publikation von Lorenzo Ravagli deckt fragwürdige Quellen und verfälschte Zitate auf – Zanders Expertenstatus infrage gestellt.

Berlin. Seit Erscheinen seines 1900-seitigen Buches »Anthroposophie in Deutschland« gilt der Historiker Helmut Zander in den Medien als Experte für das Thema Anthroposophie.

So verwarf der Bundespresserat beispielsweise eine Beschwerde gegen die Berichterstattung des SPIEGEL zu diesem Thema mit dem Hinweis, der journalistischen Sorgfaltspflicht sei mit der Befragung von Zander Genüge getan. (Beschluss des Bundespresserats vom 28.11.07)

Ein im Berliner Wissenschafts-Verlag soeben erschienenes Buch des Münchner Wissenschaftspublizisten Lorenzo Ravagli – mit einem Vorwort von Prof. W. Kugler, Oxford – zeigt auf, dass Zander zu Unrecht ein Expertenstatus zugewiesen wird. Wie Ravagli aufgrund nüchterner Detailprüfung erstmals umfassend nachweist, kann Zander zentrale Thesen seines Werkes trotz seines Umfangs nicht oder nur unzureichend begründen.

Seine Untersuchung arbeitet mit nicht näher geprüften normativen Vorgaben und enthält eine Kette von Fehlern, Widersprüchen und Missverständnissen. Ravagli weist Zander außerdem Verfälschungen durch Zitatverkürzungen nach. Und er zeigt auf, dass sich ein beträchtlicher Teil von Zanders angeblich »quellenkritischen Befunden« auf so zweifelhafte Zeugen wie Nationalsozialisten, Antisemiten und konfessionelle Fanatiker stützt.

Das von Helmut Zander 2007 veröffentlichte Werk strebt eine Kontextualisierung der Anthroposophie mit dem Ziel an, ihre wirklichen Quellen aufzudecken und dadurch einen neuen Blick auf das Phänomen Anthroposophie zu ermöglichen. Davon ist Zander nach den Untersuchungen Ravaglis weit entfernt. Sein Verdienst besteht allerdings darin, das Bedürfnis nach tragfähigen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Werk Rudolf Steiners deutlich gemacht zu haben, das angesichts der weltweiten gesellschaftlichen Wirkungen dieses Werkes zunehmend dringlich erscheint.

Mit seiner Analyse hat Ravagli einen ersten wichtigen Schritt in diese Richtung getan.


Zanders Erzählungen – eine kritische Analyse des Werkes
»Anthroposophie in Deutschland«. Mit einem Vorwort von Prof. Walter Kugler, Oxford
2009 Berliner Wissenschaftsverlag.

27.2.09

Künftige Lehrer im Elfenbeinturm

Heike Schmoll beklagt sich in einem Leitartikel der FAZ angesichts des Wettstreits der Bundesländer um gute Lehrer über die Mängel staatlicher Ausbildungsformen.

In der FAZ vom 27. Februar sucht Heike Schmoll nach dem guten Lehrer. Was zeichnet ihn aus? Ein »geheimnisvolles Feuer«, dem man mit staatlichen Eignungstests nach ihrer Einschätzung kaum auf die Spur kommen wird. Nennen wir es mit einem guten alten Wort: Begeisterung! Wer nicht von einem Stoff begeistert ist, kann auch andere nicht begeistern. Wer nicht dafür glüht, ihn anderen zu vermitteln, wird in ihnen schwerlich das Interesse wecken, das Liebe entzündet. Nur: wo soll die Begeisterung herkommen, in einer Hochschullandschaft, die von Erziehungswissenschaftlern geprägt ist, »die von angewandter Pädagogik nichts wissen wollen, sondern sich schon lange in Schulabstinenz und abgewandter Pädagogik« üben? Zwar verabschieden die Kultusminister »niveauvolle Standards« für die Lehrerbildung. Aber die existieren nur auf dem Papier, wie Heike Schmoll feststellt, und nicht in der universitären Lehrerbildung. Die Lehramtsstudenten bekommen keine Ausbildung, die sie auf die pädagogische Praxis vorbereitet, sondern laufen als »Fachwissenschaftler zweiter Klasse« neben den anderen her, die nach einer akademischen oder sonstigen Karriere streben. Wehmutvoll blickt Schmoll auf die Zeit zurück, als es noch pädagogische Hochschulen gab.

Nun, es gibt noch pädagogische Hochschulen, die zwar keine gleichartige, aber eine gleichwertige Ausbildung für die künftigen Lehrer bieten. Diese pädagogischen Hochschulen sind aber keine staatlichen Einrichtungen, sondern befinden sich in privater Trägerschaft und sind Schulen in freier Trägerschaft assoziiert. Man kann froh darüber sein, dass es solche nicht gleichartigen Ausbildungsformen gibt, denn über den Wert der von Schmoll kritisierten kann man doch ins Grübeln kommen. Was nützt die beste Wissenschaft, wenn sie sich im pädagogischen Alltag als untauglich erweist? 15jährige interessieren sich nicht für die neuesten erziehungswissenschaftlichen Theorien, sondern für die Welt, an der sie sich begeistern, wenn die Lehrer sie zu begeistern vermögen. Der staatlichen Lehrerbildung täte ein Schwenk zur Praxis gut und die Frage, wozu all die wissenschaftliche Exzellenz da ist, wenn sie Lehramtskandidaten nicht für ihren Beruf qualifiziert. Diese Qualifikation vermittelt nicht die Anhäufung theoretischen Wissens, sondern die Ausbildung praktischer Phantasie, einer kreativen Kompetenz, die noch am ehesten in den Künsten erübt werden kann. Was künftige Lehrer vor allem benötigen ist – neben dem selbstverständlichen Wissen in ihren Fachgebieten –, ästhetische Selbsterziehung im Schillerschen Sinn. Die Künste bilden all das aus, was ein künftiger Lehrer benötigt: innere Beweglichkeit, die Fähigkeit des Lauschens, Geduld, Phantasie, Geistesgegenwart, Initiative, Freude am Schaffen, Selbstdisziplin. Kein Musikstück kann ohne all das gespielt, kein Chorwerk aufgeführt werden. Und was die Künste gegenüber einem bloß theoretischen Unterricht vor allem auszeichnet: sie bilden den Menschen selbst, sie ästhetisieren ihn, indem sie zwischen Intellekt und Leidenschaft, zwischen Reflexion und Handeln fortwährend vermitteln.

Lasst die künftigen Lehrer Theater spielen, tanzen und singen: davon haben sie mehr, als von drögen Seminaren über Evaluationstheorien und Strategien der Kompetenzentwicklung! Und von solchen Lehrern, die sich dank der Kunst des Lebens freuen, haben auch die Schüler und Schülerinnen mehr!

19.12.08

Heiliger Dienst am Göttlichen in jedem Menschen

Bei der Eröffnung der ersten Freien Waldorfschule in Stuttgart, im September 1919, hielt Rudolf Steiner eine Festansprache, in der er einige Grundmaximen der Waldorfpädagogik formulierte.

Jeder Pädagogik ist eine dreifach heilige Verpflichtung auferlegt: das Wissen, das künstlerische Können und das religiöse Empfinden von einer Generation zur nächsten zu übertragen.

Alle Wissenschaft wird erst wirklich fruchtbar, wenn sie den Menschen dient, wenn sie dazu beiträgt, das soziale Leben zu gestalten. Die wissenschaftliche Erkenntnis in die heranwachsende Generation überzuführen, bedeutet, sie in den Strom des werdenden Lebens der Gesellschaft einzusenken.

Die Kunst erlebt ihre höchste Vollendung, wenn sie nicht an totem Material, sondern am lebendigen Menschen wirksam wird. Der Mensch bliebe ohne die Künste und ihre Ausdrucksformen unvollendet. Die Kunst ist – ganz im Sinne Schillers – ein essentielles Bildungsmittel für den Menschen.

Eine höchste, heilige, religiöse Verpflichtung jedoch ist es, »das Göttlich-Geistige, das in jedem Menschen, der geboren wird, neu erscheint und sich offenbart, in der Erziehung zu pflegen.« Dieser Erziehungsdienst ist »religiöser Kult im höchsten Sinne des Wortes«. Erziehung und Bildung sind ein »Altardienst«, der am »Göttlich-Geistigen des heranwachsenden Menschen« vollbracht wird.

Allerdings, fährt Steiner fort, muss die Wissenschaft, wenn sie zu einem Mittel der Menschenbildung werden soll, vermenschlicht werden. Ein Reduktionismus, der im Menschen bloß einen physikalischen Apparat oder ein bloß biologisches Wesen sieht, ist ungeeignet, Menschen zu bilden, da er das Wesentliche am Menschen, seine Seele und seinen Geist, ignoriert. Wissenschaft als Erziehungsgrundlage muss ganzheitlich sein. Sie darf sich nicht nur auf Teile des Menschen beziehen. Erziehungskunst bedarf einer Menschenkunde, die das Wissen vom Unlebendigen in ein Wissen vom Lebendigen überführt. Das Geheimnis »unserer gegenwärtigen absterbenden Kultur« – so Steiner 1919 – sei, dass die abstrakte Erkenntnis den Menschen zwar zum Wissen führe, zugleich aber auch sein Gemüt und seinen Willen schwäche. »Von des Gedankens Blässe angekränkelt« vermag sich der Mensch mit einem solchen Wissen nicht harmonisch in das soziale Ganze einzufügen. Die Wissenschaft muss imstande sein, im Menschen Liebe für dieses soziale Ganze zu entzünden, »werktätiges Wollen«, durch das er sich mit seinen Fähigkeiten in die Gesellschaft einfügt.

Keine Dogmen, keine Prinzipien, nicht den Inhalt einer Weltanschauung will die Waldorfpädagogik den Kindern beibringen, sondern aus einer ganzheitlichen Anschauung des Menschen Erziehungskunst sein. In der Pädagogik muss die Wissenschaft zur Kunst werden: Erziehungshandeln kann nur kreativ sein. Nicht die Kompositionslehre macht den Komponisten zum Künstler, sondern ihre lebendige, kreative Anwendung. Aber die pädagogische Komposition gelingt nur, wenn die Kinder selbst in die Gestaltung des Kunstwerks einbezogen werden. Aus den Kindern strömt dem Lehrer der Inhalt seiner Kunst entgegen. Gute Schule ist ein soziales Kunstwerk.

Und gute Erziehung ist ein »Altardienst«, Dienst am Göttlichen, das sich in jedem Menschen offenbart. In jedem Menschen offenbart sich dieses Göttliche. Sofern wir nicht Atheisten sind, bringen wir dem Göttlichen das Gefühl der Verehrung entgegen. Ehrfurcht vor dem Kind ist die Grundstimmung, in die alle Pädagogik getaucht sein muss. Achtung vor der unveräußerlichen Würde jedes Menschen. Denn in jedem Menschen kommt etwas zum Ausdruck, das nicht »bloß menschlich« ist, wenn man unter »menschlich« bloß diesseitig, bloß biologisch, bloß leiblich versteht. Wenn es einen Ort gibt, an dem das Göttliche in unserer Zeit erscheint, dann ist es der Mensch. Die Atheisten haben sich den Menschen nie richtig angeschaut, sonst könnten sie nicht die Existenz Gottes leugnen. Die Existenz des Menschen ist der Gottesbeweis.

Aus dieser Grundauffassung folgt, dass alle religiösen Bekenntnisgesellschaften, die das Bewusstsein von diesem Göttlichen pflegen, in der Waldorfschule willkommen sind. Denn sie leisten der Gesellschaft einen wichtigen, den wohl wichtigsten Dienst: sie erinnern uns daran, dass ein ideologischer Naturalismus ahuman ist.

In den »drei heiligen Pflichten« jeder Erziehung leuchten die drei Ehrfurchten auf, von denen Goethe in seinem »Wilhelm Meister« spricht: die Ehrfurcht vor dem, was unter uns ist, die Ehrfurcht vor dem, was neben uns ist und die Ehrfurcht vor dem, was über uns ist. Die Religion wendet sich dem zu, was über uns ist, das aber in uns zur Offenbarung kommt. Die Kunst wendet sich dem zu, was neben uns ist, um es zu dem zu erheben, was über uns ist. Und die Wissenschaft wendet sich dem zu, was unter uns ist, um in ihm zu erkennen, was in uns ist.

26.5.07

Heike Schmoll und die Waldorfschulen

Im Juni 2002 berichtete die FAZ, ihrer Redakteurin für evangelische Kirche, Schul- und Hochschulpolitik sei von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen der Ehrendoktor der Theologie verliehen worden. Sie wurde dort auch »zur argumentationsstarken Theologin«. Ihren Ehrentitel erhielt sie wegen ihres Einsatzes »für einen selbstbewußten Protestantismus und für die Verstärkung der evangelischen Stimme in Fragen der religiösen, ethischen und wissenschaftlichen Orientierung« sowie für ihren »souveränen Einfallsreichtum, in unterschiedlichen Medien die christliche Wahrheit zur Geltung zu bringen«.

Nun hat Heike Schmoll, die bisher – im Gegensatz zu allen möglichen anderen, auch alternativen Schulformen – zur Waldorfpädagogik in der FAZ geschwiegen hat, obwohl sich eine Vielzahl von Gelegenheiten geboten hätte im Rahmen der PISA-Diskussion auch sie zu würdigen, einen Artikel mit dem Titel »Auf Rudolf Steiners Spuren« veröffentlicht. Ihre kleine Arbeit zeugt von dem Geist, dem sie ihre Ehrendoktorwürde verdankt, dem Geist des »selbstbewussten Protestantismus« und Sektenbeauftragte wie Thomas Gandow oder Jan Badewien hätten nicht besser die Waldorfschulen in jenes Zwielicht rücken können, in dem die Vertreter der »christlichen Wahrheit« die unliebsame anthroposophische Konkurrenz der evangelischen Privatschulen so gerne sehen. Wie hoch das geistige Niveau der »argumentationsstarken Theologin« ansonsten in ihren FAZ-Beiträgen auch immer sein mag, durch ihre Wortmeldung hat sie sich den ideologischen Gegnern der Waldorfschulen angeschlossen, die, sobald sie auf diese zu sprechen kommen, einem abaissement du niveau mental zum Opfer fallen. Dieses abaissement läßt sich psychologisch leicht dadurch erklären, daß in jenen Fällen, wo das Denken von Emotionen oder Sentiments geleitet wird, diese irrationalen Begleitvorgänge des Denkens einen großen Teil der psychischen Energien absorbieren und daher wenig für die nüchterne Reflexionskraft übrigbleibt. Schmoll mag durch den »souveränen Einfallsreichtum«, von dem ihr Beitrag zeugt, ihren Kollegen von der theologischen Fakultät Schützenhilfe geleistet haben, mit der Realität hat ihr Räsonnement über die Waldorfschulen jedoch wenig bis gar nichts zu tun.

Das fängt schon damit an, daß sie von einer lauter werdenden öffentlichen Kritik an Waldorfschulen spricht, weil das ARD eine Sendung ausgestrahlt hat, oder weil zwei ehemalige Seminaristen ihre Unzufriedenheit mit einem Waldorflehrerseminar zum Ausdruck gebracht haben. Diese angebliche öffentliche Kritik, die praktisch inexistent ist, richtet sich, wie Schmoll behauptet vor allem gegen die Lehrerausbildung. Daß sie die »öffentliche Kritik« erst dadurch ins Leben ruft, daß sie ihren Artikel schreibt, muss nicht eigens hervorgehoben werden. Die Öffentlichkeit ist schließlich kein Subjekt, sondern es sind immer konkrete Autoren, die Kritik üben. Schon im Falle des ebenfalls der evangelischen Kirche nahestehenden Rainer Fromm, der im Jahr 2006 eine Instantreportage für frontal21 drehte, gilt dies. Es gilt auch für Dietrich Krauss, den Autor der Sendung »Wie gut sind Waldorfschulen«, der als sein Hobby den »Klassenkampf« bezeichnet. Diesen »öffentlichen Kritikern«, die also die Öffentlichkeit inkorporieren, verleiht Heike Schmoll nun ihre resonierende Feder und erhebt sich selbst zum Sprachrohr der »Öffentlichkeit«.

Nehmen wir das Hauptproblem gleich vorweg: jene Autoren, die den Waldorfschulen vorwerfen, sie seien Weltanschauungsschulen und würden dies »verheimlichen«, tun dies, weil sie selbst bestimmten Weltanschauungen anhängen, die sie die anthroposophischen Grundlagen der Waldorfpädagogik ablehnen lassen. Nun ist nicht zu bezweifeln, daß jede Form von Unterricht auf Weltanschauung fußt, auch der Unterricht an staatlichen Regelschulen. Man muss sich nur einmal die Lehrpläne ansehen. Es gibt keinen weltanschaulich »neutralen« Unterricht. Naturwissenschaftliche Fächer, Geschichte, Literatur fußen immer auf bestimmten Weltinterpretationen, die den Schülern implizit – oder sogar explizit – vermittelt werden, ganz abgesehen von den persönlichen Weltanschauungen der einzelnen Lehrer, die von der Person kaum zu trennen sind. Der weltanschaulich neutrale Unterricht ist eine reine Fiktion. Zwar soll der Staat sich »weltanschaulich neutral« verhalten, indem er keine bestimmte Weltanschauung präferiert, aber dadurch setzt er gerade die Pluralität der individuellen Weltanschauungen frei, die auf diesem Weg ein Heimatrecht in den von ihm betriebenen Schulen erhalten. Die »weltanschauliche Neutralität« enthält im Grundsatz keine Vorentscheidung für oder gegen eine bestimmte Weltanschauung. Insofern geht der Vorwurf, die Waldorfschulen seien heimliche Weltanschauungsschulen schon aus prinzipiellen Gründen ins Leere. Schließlich ist die Forderung nach »weltanschaulicher Neutralität« auch nur als formales Prinzip durchführbar, aber nicht lebbar. Sie ist eine Leerform, die Parteinahme zugunsten bestimmter Weltanschauungen ausschließt, mehr nicht. Als Leitlinie staatlichen Handelns ist sie eine negative Maxime. Auf der persönlichen Ebene würde dieses Prinzip in letzter Konsequenz zum Verstummen führen, denn sobald wir Stellung beziehen, äußern wir Weltanschauung. Die negative Maxime, die dem Verwaltungshandeln frommt, ist also denkbar ungeeignet als Maxime der individuellen und sozialen Lebensgestaltung. Natürlich liegen in dieser Frage einige Paradoxa, die hier nicht weiter erörtert werden können. So ist z.B. fraglich, wie es sich mit der weltanschaulichen Neutralität des Staates vereinbaren läßt, daß er inhaltlich festgelegte Lehrpläne vorschreibt, in denen manche Inhalte eingeschlossen, andere aber ausgeschlossen werden. Dasselbe gilt für die Normen, von deren Erfüllung Zugangsberechtigungen zu Bildungswegen abhängig gemacht werden. Insoweit diese inhaltlich ausgefüllt sind, werden bestimmte Weltanschauungsinhalte normativ festgelegt, deren erfolgreiche Reproduktion den Zugang zu Bildungseinrichtungen ermöglicht. Von dieser Seite her unterläuft also der Staat mit seiner Bildungsverwaltung wiederum die auf der anderen Seite von ihm selbst geforderte weltanschauliche Neutralität.

Zum Berufsethos der Waldorflehrer gehört, die anthroposophische Grundlage der Pädagogik (Menschenbild, Entwicklungspsychologie usw.) als methodisch-didaktisches Werkzeug zu handhaben, sie aber nicht zum Inhalt des Unterrichts zu machen. Entscheidend für die pädagogische Wirksamkeit und die Erfüllung der Bildungsaufgabe ist, wie unterrichtet wird, sekundär ist, was unterrichtet wird. Steiner forderte, die Schulen dürften nicht zur Anthroposophie erziehen. Daß dies in der Regel gelingt, hat erst jüngst eine empirische Untersuchung gezeigt, auf die weiter unten hingewiesen wird. Nicht abzustreiten ist, daß Waldorfschulen durch ihre anthroposophische Grundlage der Spiritualität gegenüber offen sind. Aber ist dies ein Nachteil oder gereicht ihnen dies zum Vorwurf? Indem sie diese Offenheit gegenüber dem Transzendenten in ihre Curricula eingeschrieben haben, können sie eine Entwicklung der Schüler zu einer integralen Weltauffassung, die das bloße Diesseits transzendiert, nicht systematisch verhindern. Das macht diese Schulform gerade für Kulturen attraktiv, die noch in spirituellen Traditionen verwurzelt sind, wie in Asien oder auch in Afrika. Nur jemand, der in Offenheit für die Transzendenz generell etwas Verwerfliches sieht, z.B. Opium für das Volk, kann diese Grundhaltung kritisieren. Aber menschliche Existenz ohne Bezug zum Transzendenten dürfte auch für Heike Schmoll nicht wünschenswert sein.

Schmoll zweifelt die Gleichwertigkeit der Ausbildung an Waldorflehrerseminaren an, weil diese im Gegensatz zu staatlichen Hochschulen »eher Erziehungskünstler« als »Wissensvermittler« heranziehen. Nebenbei sei bemerkt, daß sich unter den acht Waldorflehrerseminaren in Deutschland eine staatlich anerkannte Hochschule befindet, aber »staatlich« ist diese Hochschule deswegen natürlich nicht. Andere Lehrerseminare verlangen als Zugangsvoraussetzungen ein Hochschulstudium mit mindestens erstem Staatsexamen, oder ein abgeschlossenes Hochschulstudium in einem für den späteren Unterricht relevanten Fach. Andererseits betreibt ja auch nicht der Staat die pädagogischen Fachhochschulen oder die Universitätsstudiengänge, sondern ein akademisches Lehrpersonal, das in Fragen der pädagogischen Methodik und Didaktik wissenschaftlich so unterschiedlich ausgerichtet ist, wie man es von einer pluralistischen Gesellschaft nur erwarten kann, ganz zu schweigen von den weltanschaulichen Positionen. Waldorfschulen und ihre Hochschulen verstehen sich als Einrichtungen eines freien Bildungs- und Schulwesens und legen Wert darauf, diese Freiheit auszubauen. Nun, was heißt gleichwertig? Wer urteilt über den gleichen Wert? Schmoll scheint zu meinen, wenn etwas nicht gleichartig ist, dann kann es auch nicht gleichwertig sein, also auf ein anderes Gebiet übertragen: weil Schwarze und Weiße nicht gleichartig sind, können sie auch nicht gleichwertig sein. Wir Europäer haben uns mühsam zur Einsicht durchgerungen, daß etwas trotz seiner Ungleichartigkeit gleichwertig sein kann. Im Grunde ist die Unterstellung, der Erziehungskünstler sei dem Wissensvermittler nicht gleichwertig, eine Art von verkapptem Rassismus. Warum können Autorinnen wie Heike Schmoll nicht akzeptieren, daß unsere Gesellschaft pluralistisch ist und daß zum Pluralismus konstitutionell die Gleichwertigkeit des Verschiedenartigen gehört? Sie beruft sich auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 20. März 1993 zum Lehrerseminar Witten – aber dieses Urteil ist längst veraltet. Das Bundesverwaltungsgericht hat am 23. Juni 1993 zugunsten der Gleichwertigkeit entschieden. Sie beruft sich auf Berliner Seminaristen, die von einer Steiner-Heiligenverehrung gesprochen haben. Na und? An jedem Universitätsinstitut gibt es Heiligenverehrung, das weiß jeder Absolvent, nicht nur einer theologischen Fakultät. So sehr und so gerne sich Schmoll einerseits auf den Staat, also auf die Obrigkeit beruft, wenn sie diese für ihre Argumentation benutzen kann, – daß die Berliner Schulaufsicht die Kritik der Seminaristen »abgetan« hat, kommt ihr gar nicht zupaß. Offenbar scheint die Berliner Schulaufsicht, die den Schulen, die sie beaufsichtigt ja näher steht als Heike Schmoll oder die Studienabbrecher, auf die sie sich beruft (von denen der eine als notorischer Querulant schon seit Jahren seine Phantasien über die Seminarerlebnisse vermarktet, unter anderem auch auf Tagungen die von evangelischen Sektenbeauftragten organisiert werden), doch den Eindruck zu haben, daß die Lehrkräfte an den Berliner Waldorfschulen als Erziehungskünstler ganz gut im Alltag der Schulen bestehen.

Die von Steiner entwickelte anthroposophische Weltanschauung liegt dem Unterricht an Waldorfschulen zugrunde, behauptet Schmoll. Eine schwammigere Formulierung ist kaum denkbar, trotz aller Argumentationstärke der Theologin. Was heißt: liegt zugrunde? Will sie damit suggerieren, daß sie diese Weltanschauung den Schülern vermitteln? Später greift sie dieses Motiv noch einmal auf, wenn sie behauptet, die Waldorfschulen seien nach Artikel 7 des Grundgesetzes Weltanschauungsschulen und dürften deshalb nach der anthroposophischen Lehre Rudolf Steiners unterrichten. Auch hier wieder so eine schwammige Formulierung. Was heißt: nach der anthroposophischen Lehre unterrichten? Will sie behaupten, die Schulen unterrichteten die Lehre Steiners an die Schüler? Die neueste empirische Untersuchung zu diesem Thema jedenfalls »Absolventen von Waldorfschulen«, die von Heiner Barz und Dirk Randoll 2007 herausgegeben wurde, zieht das Fazit: »Der immer neu erhobene Vorwurf, Waldorfschule erziehe zur Anthroposophie, wird durch die Daten eindrücklich widerlegt.« Stattdessen bescheinigen die Absolventen der Schule »eine hohe religiöse und weltanschauliche Offenheit.« Immerhin erwähnt Schmoll, daß die Waldorfschulen bestreiten, Weltanschauungsschulen zu sein. In der Tat bildet auch in keinem der deutschen Bundesländer Artikel 7 GG die Grundlage der Anerkennung der Waldorfschulen qua Weltanschauungsschulen, die mit staatlichen Regelschulen gleichwertig, wenn auch nicht gleichartig sind. Die Besonderheit der Waldorfschulen ist nicht, daß sie ihren Schülern eine anthroposophische Weltanschauung vermitteln, sondern daß sie eine besondere pädagogische Methodik praktizieren, die von der üblichen abweicht. Grundlage der Anerkennung der Waldorfschulen ist stets die besondere pädagogische Prägung. Diese Methodik fußt allerdings auf der Weltanschauung Steiners, und es ist deswegen nicht verwunderlich, daß Waldorflehrer mit dieser Art die Welt anzuschauen, vertraut gemacht werden müssen, sonst könnten sie ja das Spezifische der Methodik überhaupt nicht praktizieren, was auf einen umgekehrten Etikettenschwindel hinausliefe. Zu dieser Methodik gehört ein ausgeglichenes Maß von intellektuellen, künstlerischen und handwerklichen Fächern, ebenso wie die Berücksichtigung der unterschiedlichen psychischen Reifungsstufen der Schüler. Auch die Klassenlehrer sind ein Bestandteil dieser Methodik, die als vorbildhafte Autoritäten den Heranwachsenden moralische Orientierung vermitteln. In der Tat versteht sich ein Klassenlehrer in der Unter- und Mittelstufe nicht in erster Linie als Wissensvermittler, sondern als Erziehungskünstler, der die ihm anvertrauten Kinder möglichst umfassend in die Welt, in der sie leben, einführt, so wie sie sich in seiner Persönlichkeit spiegelt. Was erzieht und bildet ist die Persönlichkeit, sonst könnte man Lehrer auch durch Computer ersetzen. Im übrigen stehen den Klassenlehrern eine ganze Reihe von sogenannten Fachlehrern zur Seite, die in denselben Klassen unterrichten, wie diese und dort Fremdsprachen und andere Unterrichte erteilen.

Daß Schmoll über Diplomarbeiten von Lehrern herzieht und diese in aller Öffentlichkeit lächerlich macht, grenzt schon ans Skandalöse. Wie kommt sie eigentlich an diese persönlichen Arbeiten von Seminaristen? Aber hat sie denn die Voraussetzungen, das Spezifische an diesen Arbeiten zu beurteilen? Daß über Goethes Urpflanze «spekuliert« wird: ist das anrüchig? Ist die Urpflanze selbst anrüchig oder Goethe? An wie vielen philosophischen oder germanistischen Seminaren werden gleichartige Themen behandelt, oder sogar als Gegenstände von Magisterarbeiten und Dissertationen herangezogen? Man sehe sich daraufhin nur einmal die Abschlußarbeiten von theologischen Fakultäten an! Oder ist etwa der Kalender der Maya anrüchig?

Nun aber: die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften »beschäftigt sich mit dem Unterricht an Waldorfschulen«? Seit wann ist denn die Bundesprüfstelle für die Aufsicht über den Unterricht an Schulen zuständig? Eine ziemlich abwegige Formulierung für das, was die Bundesprüfstelle tatsächlich tut. Sie hat nämlich ein Buch von Ernst Uehli für eine Begutachtung in Betracht gezogen, das mit vielen anderen auf einer Literaturliste stand, die Waldorflehrern von der Pädagogischen Forschungsstelle beim Bund der Freien Waldorfschulen zur Verfügung gestellt wurde. Ernst Uehli gehörte zu den ersten Waldorflehrern an der Stuttgarter Schule seit 1919 und schrieb auch Bücher, unter anderem das inkriminierte Buch über das »Rätsel der Eiszeitkunst«, das 1935 erstmals erschien. Damals schrieb und redete man in einem ganz anderen Stil über sogenannte Rassenfragen, nicht nur im Kontext der NS-Rassenauffassungen, sondern überall auf der Welt in den biologischen und vielen anderen Fakultäten. Nun wurde das Buch nicht einmal für den Geschichtsunterricht empfohlen, sondern lediglich als mögliche Literatur angeführt, allerdings nicht wegen des Rassenthemas, sondern wegen der sonstigen darin enthaltenen geschichtlichen Darstellungen. Jene ideologischen Kritiker der Waldorfschulen, die mit immensem Eifer versuchen, sie in das genannte Zwielicht zu rücken, haben diese Literaturlisten ausgegraben und mittels der Technik der Denunziation den Antrag auf Überprüfung bei der Bundesprüfstelle veranlaßt. Wie dem auch sei: es trifft weder zu, daß der Bund der Freien Waldorfschulen das Buch nach heftiger öffentlicher Kritik aus dem Verkehr gezogen hätte, noch daß die Bundesprüfstelle weiterhin vorhat, das Buch »abzusetzen«, was immer das auch sein mag. Die »heftige Kritik« ist eine Erfindung Schmolls. Der Bund der Freien Waldorfschulen konnte das Buch gar nicht zurückziehen, weil er ja auch nicht der Herausgeber oder Verleger war. Der Verleger, der mit den Waldorfschulen nichts zu tun hat, hat vielmehr das Buch vom Markt genommen. Danach hat sich auch die Begutachtung durch die Bundesprüfstelle erübrigt.

Die Waldorfschulen arbeiten schon seit über 80 Jahren in Deutschland, in vielen anderen europäischen Ländern und in der übrigen Welt. Die Anzahl der Schulen hat sich seither kontinuierlich vergrößert. Eine ganze Reihe dieser Schulen in verschiedenen europäischen Ländern sind wegen ihres vorbildlichen Einsatzes für internationale Verständigung, Nachhaltigkeit und interkulturelles Lernen, für Themen wie Menschenrechte, Umweltschutz und Toleranz als Unesco-Projekt-Schulen anerkannt. Die Schulen werden in der Regel von Elterninitiativen gegründet, die sich solche pädagogischen Einrichtungen wünschen. Jeder vernünftige Mensch muss sich doch fragen, wie diese Erfolgsgeschichte möglich ist, wenn sich die Waldorfpädagogik nicht in der Praxis bewähren würde. An all diesen Schulen arbeiten Lehrer, die gleichwertige, nicht gleichartige Ausbildungsgänge durchlaufen haben. Allein diese Tatsache muss einem doch zu denken geben.

4.11.05

KMK verteidigt Schulsystem

Bei der Vorstellung der neuen PISA-Studie, dem Ländervergleich Pisa-E, verteidigte Annette Schavan das staatliche Schulsystem.

Zwar hat auch diese Studie den engen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg erwiesen. Ungklärt bleibt die Frage, ob die Unterschiede in der Bildungsbeteiligung auf unterschiedliche Fähigkeiten oder sekundäre Faktoren (Entscheidungen von Eltern und Lehrern) zurückgehen. Für 15 Jahre alte Jugendliche aus den oberen Einkommens- und Bildungsschichten in Bayern ist die Wahrscheinlichkeit, das Gymnasium zu besuchen, sechsmal höher, als für Jugendliche aus den unteren Einkommensschichten. In Hessen, Berlin, Niedersachsen und Brandenburg sind die Unterschiede nicht so gross.

Die designierte Bundesbildungsministerin Schavan (CDU) behauptete, die jüngste Pisa-Studie belege keine generelle Verschlechterung der Chancengleichheit deutscher Schüler. Wenn dieser Eindruk erweckt werde, dann sei dies lediglich auf neue Berechnungsmethoden zurückzuführen. In Wirklichkeit seien die Ergebnisse in etwa gleich geblieben. In etwa gleich schlecht, sollte man hinzufügen. Oder würden sich vielleicht bei der Anwendung anderer Rechenmethoden die Ergebnisse verbessern?

31.10.05

Staatliches Schulsystem zementiert Klassengesellschaft

Die soziale Herkunft entscheidet in Deutschland immer stärker über den Schulerfolg eines Kindes.

Die dpa meldet als Ergebnis des zweiten Bundesländer-Vergleichs der Pisastudie, daß selbst bei gleichem Wissensstand und Lernvermögen ein 15 Jahre alter Schüler aus reichem Elternhaus eine vier Mal größere Chance hat, das Gymnasium zu besuchen und das Abitur abzulegen, als ein Gleichaltriger aus einer ärmeren Familie. Insgesamt sei der Wissensvorsprung der 15 Jahre alten Schüler aus Akademikerfamilien im Vergleich zum ersten Test im Jahr 2000 sogar noch gestiegen. In Mathematik und Naturwissenschaften sind Akademikerkinder Gleichaltrigen aus Arbeiterfamilien mehr als 100 Pisa-Punkte voraus, was einem Unterschied von mehr als zwei Schuljahren entspricht.

Je höher das Einkommen, desto höher der Bildungsgrad, die gesellschaftlichen Eliten reproduzieren sich selbst. Das dreigliedrige staatliche Bildungssystem ist ein Abbild der Klassengesellschaft, Gleichheit der Chancen eine Illusion. Mit dem bisherigen Schulsystem lässt sich diese offensichtlich nicht gewährleisten.